Knicken - Lochen - Abheften

oder

die wundersame Vermehrung von Beamten!

 

 

Das "Gesetz zur Vereinfachung allgemeiner Verwaltungsvorgänge"(GVVerw), es beschlossen und in Kraft gesetzt. Auf den Dienstweg gebracht, beginnt das Rennen: Was ist eher bei unseren Staatsbediensteten, das Gesetz (GVVerw) und der Erlass zur Durchführung der im Gesetz festgelegten Maßnahmen (GVVerwDErl), der Kommentar zum Gesetzestext (GVVerwKom), die Durchführungsverordnung zum Gesetz (GVVerwDO), der Kommentar zur Durchführungsverordnung (GVVerwDOKom), die Übergangsregelung zur Durchführungsverordnung des Gesetzes (GVVerwDOÜR), die erste Änderung zur Durchführungsverordnung (1. Änd. GVVerwDO), der Erlass über Ausnahmeregelungen der Durchführungsverordnung (Erl. GVVerwDO)...

 

Es ist soweit. Der erste Erlass zur Durchführung der Vereinfachung von Verwaltungsvorgängen nebst den Arbeitsanweisungen zur Handhabung der Durchführungsverordnung und der Regelung der Zeichnungsbefugnisse sowie die Anforderung an den Ausbildungs- und Tätigkeitsnachweis (ATN) der mit der Durchführung zu beauftragenden Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der hiermit zu schließenden Betriebsvereinbarung mit dem Personalrat  sind bei der Verwaltungszentralstelle der Kleinstadt Überall eingetroffen.

 

Der Verwaltungschef, in diesem Fall der Bürgermeister (Besoldung nach A16), beruft eine Dienstbesprechung mit seinen Abteilungsleitern ein und ordnet die Vereinfachung der Verwaltungsvorgänge und damit auch die Durchführung von Sparmaßnahmen zur Entlastung des städtischen Etats an. Als Projektleiter wird der Leiter des Ordnungsamtes als der Ranghöchste und Dienstälteste, und somit auch der erfahrenste Beamte (Amtmann A11) eingesetzt.

 

Das große Ausmisten soll nun unverzüglich in die Tat umgesetzt werden. Aber oh Schreck, wer soll denn diese Papierflut, nämlich alte, nicht mehr benötigte Vorschriften vernichten, bewältigen? Als erstes ist es erforderlich, denn der Datenschutz muss ja gewahrt werden, einen Aktenvernichter (Reißwolf) anzuschaffen. Einfache Sache, da diese Ausgabe unter die Sparte "Handkauf" fällt und sofort vom Amtmann als der zuständige, und in diesem Zusammenhang mit der erforderlichen Zeichnungsbefugnis ausgestattete Projektleiter, genehmigt wird. Flugs wird das Gerät beschafft und aufgestellt. Aber wer soll es bedienen? Wer soll die zu vernichtenden Akten aus den einzelnen Abteilungen zum Aktenvernichter bringen, ausheften, und dem Reißwolf übergeben? Wer soll die alten Aktenordner aus dem Aktenregister austragen und neu beschriften? Und wer soll die neuen Gesetzestexte, Durchführungsbestimmungen und Erlasse in die neu beschrifteten Ordner einheften, wobei die Schriftstücke vor dem Einheften erst noch gelocht, und damit die Lochung auch mittig erfolgt, in der Mitte geknickt werden müssen? Fragen über Fragen.

 

Eine weitere Dienstbesprechung wird angesetzt und man beschließt: Ein Amtsgehilfe (A1) muss her!" Aber wo wird diese Stelle bereitgestellt?

 

Bei       der Hauptverwaltung

            dem Amt für Kultur, Sport- und Vereinswesen

            dem parlamentarischen Büro

            dem Informationsdienst für Blinde und Sehbehinderte

            dem Standesamt

            der Sozialverwaltung

            dem Steueramt

            der Liegenschaftsverwaltung

            der Kämmerei

            der Bauverwaltung

            der Hilfspolizei

            dem Amt für Hochbau und Planung

            dem Amt für Natur und Umweltschutz

            dem Amt für Tiefbau

            dem Ordnungsamt

            dem Einwohnermelde- und Passamt

            dem städtischen Betriebshof

???

 


Nur der Betriebshof käme hierfür in Frage, erklärte dessen Leiter (Oberinspektor A10), denn hier ist technisches Verständnis gefordert, da es hier um den Umgang mit Maschinen geht (er dachte an den Reisswolf, vom Locher ganz zu schweigen). Und überhaupt, es bedarf einer technischen Vorbildung dessen, der ja schließlich die neue Kraft einweisen, unterweisen und beaufsichtigen muss. Auch der Transport  zu vernichtender Akten sowie die Verteilung der neuen Vorschriften sei ja ein logistisches Problem und falle somit in den Zuständigkeitsbereich des Betriebshofs, zumal dies ohne den Einsatz städtischer Fahrzeuge nicht zu bewältigen sei.

 

Nach doch relativ kurzer Diskussion (ca. 4 Stunden) einigte man sich auf diesen Vorschlag, nachdem die Einwände der Frauenbeauftragten, hier auch eine Amtsgehilfin einzustellen mit dem Hinweis auf die Arbeitsstättenverordnung und den dort einschlägigen Paragraphen bezüglich einer körperlichen Beeinträchtigung durch das ständige Heben schwerer Lasten (über 5 Kilo) und  Belastung der Atemwege durch den Aktenstaub ein nicht unerhebliches Risiko für eine eventuell bestehende oder auch künftige Schwangerschaft und der damit verbundenen besonderen Fürsorgepflicht des Dienstherrn, entkräftet waren. Darüber hinaus habe diese Regelung auch noch den Vorteil, daß der Betriebshof  dem Ordnungsamt unterstellt ist, und daher der Projektleiter, nämlich der Leiter des Ordnungsamtes, zugleich direkten Zugriff, auch disziplinarisch, auf die Durchführung und die Kontrolle der angeordneten Maßnahmen habe.

 

So hatte nun alles im wahrsten Sinne des Wortes seine Ordnung und es konnte begonnen werden, das Vereinfachen und Sparen in die Tat umzusetzen.

 

In der darauffolgenden Stadtverordnetenversammlung wurde die neue Stelle bewilligt und ausgeschrieben. Bereits nach vier Wochen, man gab auch richtig Gas, war ein Bewerber befunden, der nach bestandenen Eignungstests den erforderlichen ATN (Ausbildungs- und Tätigkeitsnachweis: Bedienung eines Aktenvernichters, erste Hilfe, die Einhaltung der richtigen Reihenfolge Knicken - Lochen - Abheften, Beschriftung der Ordner mit Hilfe einer Schreibschablone u.a.) erhielt. Er wurde, mit der Zustimmung des Personalrats und aufgrund einer Eilentscheidung in einer Sondersitzung der Stadtverordnetenversammlung, eingestellt als Amtsgehilfe auf Probe, Besoldungsstufe A1 mit Schmutzzulage (Aktenstaub), Außendienstzulage (wechselnder Einsatzort in den verschiedenen Amtsstuben) und Zulage für Maschinenführer.   

 

Das wäre nun das Ende der Geschichte,... wenn es da nicht noch das öffentliche Dienstrecht mit seinen Bestimmungen über die Besoldungsstufen für Leitungsfunktionen und die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter in der jeweiligen Besoldungsstufe gäbe.

 

Denn diese zusätzlich Stelle eines Amtsgehilfen (A1) machte es erforderlich, den bereits vorhandenen  Oberamtsgehilfen (A2), da er nun Weisungsbefugnis erhielt, zum Hauptamtsgehilfen (A3), und der ihm

bisher vorgesetzte Hauptamtsgehilfe zum Amtsmeister (A4) zu befördern. Der diesen vorgesetzte Sekretär (A6) rückte zum Obersekretär (A7) und der Hauptsekretär (A8) zum Amtsinspektor (A9) auf. Aus dem Oberinspektor (A10) wurde flugs ein Amtmann (A11) und der Amtmann, zugleich auch Leiter dieser Behörde wurde zum Amtsrat (A12) ernannt. Der frisch gebackene Amtmann und Leiter des Betriebshofs erhielt jetzt noch kraft seines neuen Amtes zusätzlich eine Schreibkraft weiblich (BAT VII), ebenso der Amtsrat. Durch diesen Personalzuwachs wurde der Personalrat zum hauptamtlichen Personalrat und somit von seinem eigentlichen Dienst freigestellt. Ihm stand nun ein eigenes Büro und ebenfalls eine Schreibkraft zu. Und, aufgrund der neuen Personalsituation wurde aus dem Bürgermeister ein Oberbürgermeister (B1).

 

Alles hatte nun seine Ordnung, die frisch ernannten Vorgesetzten traten ihre 12-Wochen-Lehrgänge für Personalmanagement und Personalführung an, die technische Ausbildung der mit Knicken - Lochen - Abheften beauftragen Mitarbeiter, sowohl in der Praxis wie auch in der Kontrolle wurde begonnen, und unter dem Vorbehalt, dass  nicht doch noch eine Änderung der Gesetzgebung erfolgt, wird ab dem Jahr 2000 mit der Vereinfachung der Verwaltungsvorgänge begonnen werden können.

 

 

© Erik A.C. Bogorinski 26-04-1999